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1968 - 1978 Pionierjahre

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1968/69 – 1977/78: Pionierjahre

Das Heisenberg-Gymnasium entstand in einer Zeit tiefgreifender gesellschaftspolitischer Umbrüche: Die jungen Erwachsenen der ersten Nachkriegsgeneration stellten die Konventionen und Werte der Älteren in Frage, erprobten neue, bis dahin unerhörte Lebensformen, brachen das Schweigen über die deutschen Verbrechen der jüngsten Vergangenheit, deckten Kontinuitäten vom Dritten Reich in die junge Bundesrepublik auf, entwarfen Utopien einer Gesellschaft, in der jeder Einzelne sich frei und seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend entwickeln kann und alle Menschen gleichberechtigt sind. Diese „Geburtsumstände“ haben die Entwicklung unserer Schule und die Atmosphäre, die an ihr herrscht, bis heute spürbar geprägt: in der Offenheit dem Anderen und seiner Meinung gegenüber, in dem Mut, auch quer zu denken, Althergebrachtes oder von außen Aufgezwungenes zu hinterfragen und Neues zu wagen, in der Art, wie Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern sich auf Augenhöhe begegnen, in der Fähigkeit zu und der Freude an Spontaneität und Improvisation. Das Heisenberg-Gymnasium ist, dies melden uns Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern, die unsere Schule neu kennenlernen, immer wieder zurück, auch heute noch in vielerlei Hinsicht „anders“.

Unsere Schule – ein Kind der Bildungsreform

Die eigentliche Geburtsstunde unserer Schule liegt deutlich mehr als 50 Jahre zurück: In seiner Sitzung vom 25. Mai 1965 beauftragte der Schulausschuss der Stadt Gladbeck die Verwaltung, bei der Bezirksregierung in Münster die Errichtung eines staatlichen, mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums für Jungen in Gladbeck zu beantragen. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Gladbeck bereits zwei Gymnasien: Das Jungengymnasium in der Mittelstraße – das heutige Ratsgymnasium – sowie das Mädchengymnasium in der Schützenstraße – das wir heute als Riesener-Gymnasium kennen. Hintergrund dieser Entscheidung war die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Gladbeck, insbesondere die seit Anfang der 1960er Jahre deutlich gestiegene Geburtenziffer, die absehen ließ, dass die vorhandenen Kapazitäten des Jungengymnasiums bald nicht mehr ausreichen und eine hinreichende bauliche Erweiterung des bestehenden Schulgebäudes aufgrund der Gegebenheiten des Geländes nicht möglich sein würde. Darüber hinaus wurde einerseits vor dem Hintergrund sich abzeichnender ökonomischer Notwendigkeiten, andererseits aufgrund der Forderung nach sozialer und politischer Teilhabe breiterer Bevölkerungsschichten, für die höhere Bildung unabdingbare Voraussetzung ist, eine spürbare Erhöhung der Abiturientenquote angestrebt. Diese lag in Nordrhein-Westfalen deutlich hinter manch anderem Bundesland, im Ruhrgebiet wiederum hinter allen anderen Regionen unseres Bundeslandes: In Bonn hätten, so heißt es in einem Artikel der Ruhr-Nachrichten, im Jahr 1961 von 
10 000 Jugendlichen 106 erfolgreich die Abiturprüfung abgelegt, in Recklinghausen 33, in Oberhausen 22, in Herne 20 und in Bottrop und Gladbeck lediglich 17. Die Stadt Gladbeck folgte mit ihrem Beschluss dem allgemeinen Trend: Im Rahmen der Bildungsreform wurden damals insbesondere im Ruhrgebiet die Kapazitäten durch die Gründung von Gymnasien, Gesamtschulen und Universitäten rasant ausgebaut, um die „Bildungsreserven“ zu aktivieren.

Die Mittel für den Neubau – man rechnete mit Baukosten in Höhe von 3,5 Millionen DM - sollten bereits in den Haushalt für das Jahr 1966 eingestellt werden. Für den Fall, dass das Land nicht oder erst zu spät für die Haushaltsberatungen grünes Licht für das Vorhaben geben sollte, war von Anfang an vorgesehen, die Schule in städtischer Trägerschaft zu gründen, wie es dann mit dem Beschluss des Rats der Stadt Gladbeck vom Juli 1965 - mit den Stimmen der SPD, die CDU enthielt sich - ja auch geschah, auch wenn das Land grundsätzlich die Gründung eines weiteren Gymnasiums in Gladbeck begrüßte. Für das neue Gymnasium sollte der 1957 dem eigentlich neusprachlichen Jungengymnasium angegliederte mathematisch-naturwissenschaftliche Zweig von diesem abgetrennt werden. Im Juli 1965 legte das städtische Bauamt die Pläne für das neue Jungengymnasium und die große Sporthalle vor: „Die Schule liegt etwas weiter westlich, von der Straße weggerückt, aber auch noch weit genug von der Bundesbahnlinie entfernt. Sie besteht aus einem zweigeschossigen Mitteltrakt, der die allgemeinen Räume (Chemie, Physik, Biologie, Lehrer- und Direktorenzimmer usw.) enthalten soll. Ihm fügen sich nach Nordosten und Südwesten zwei jeweils dreigeschossige Klassentrakte [!] mit je 15 Klassen an, die man durch Anbauten noch erweitern, andererseits auch nacheinander bauen kann“ heißt es in einem Artikel der WAZ von Anfang Juli 1965. Und weiter: „Der Blick von der Stelzenstraße über die Bahn auf das Schul- und Sporthallengelände könnte äußerst reizvoll wirken und einen guten städtebaulichen Effekt bringen.“ Das Gebäude sollte in Fertigbauweise errichtet werden, um Zeit und Kosten einzusparen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 20. August 1967.

Start mit Hindernissen

Ende März 1968 wählte der Schulausschuss der Stadt Gladbeck aus drei Bewerbern den 38-jährigen Herbert Sokolowski aus Marl, damals Oberstudienrat am dortigen Albert-Schweitzer-Gymnasium, zum Schulleiter des neuen Gymnasiums, das nach Beschluss der Stadt ganz neue Wege gehen sollte: Es sollte ein koedukatives Gymnasium entstehen, mit gemischten Klassen aus Jungen und Mädchen. Wie revolutionär diese Entscheidung zur damaligen Zeit war, verdeutlicht ein Blick in die „Richtlinien für den Unterricht in der Höheren Schule“ aus dem Jahr 1963: „Jungen und Mädchen werden in den Höheren Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen, von Ausnahmen abgesehen, getrennt unterrichtet und erzogen. Alle Schulen sind gehalten, der Eigenart der Geschlechter Rechnung zu tragen.“ „[…] vorhandene Unterschiede von pädagogischer Bedeutsamkeit [können] nicht übersehen werden. Es gibt ein Mehr oder Weniger bestimmter Eigenschaften und Verhaltensweisen auf beiden Seiten. Der Verlauf des Reifungsprozesses ist in Eigenart, Tempo und Rhythmus verschieden. Verschieden ist die Bedeutung, die Beruf und Familie im Leben von Mann und Frau haben; sie wirkt voraus bei den Heranwachsenden. Diese Polarität verbietet eine Nivellierung und erfordert eine Differenzierung im Unterricht.“ Für ein neu zu gründendes Gymnasium, so die ehemalige stellvertretende Schulleiterin Lieselotte Sures in der Festschrift zum 25-jährigen Schuljubiläum, schien aber die Koedukation in den Augen der Befürworter die angesichts der Emanzipation der Frau einzig zeitgemäße Form zu sein.

Nach einigen Querelen – die CDU wollte ihren eigenen Kandidaten positionieren, der Personalrat in Münster hatte Einspruch eingelegt – wurde erst Ende Juni im Schulausschuss endgültig entschieden, dass Herbert Sokolowski der Schulleiter des neuen Gymnasiums sein sollte. Seine Ernennungsurkunde zum Oberstudiendirektor erhielt er allerdings erst anlässlich der Einweihungsfeier für das neue Gymnasium Ende Januar 1969. Auch die Besetzung des Stellvertreter-Postens gestaltete sich schwierig: Der Schulausschuss hätte ihn gerne mit einer Frau besetzt gesehen, Schulaufsicht und Personalrat wünschten sich, dass auch männliche Kandidaten berücksichtigt würden. Schließlich wurde Lieselotte Sures, die bis dahin Lehrerin am Mädchengymnasium gewesen war und dort nach eigener Aussage eigentlich gar nicht weg wollte, zur stellvertretenden Schulleiterin ernannt.

Am 12. August 1968 nahm die neue Schule mit der sperrigen Bezeichnung „Städtisches mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen und Mädchen sowie Gymnasium für Frauenbildung“ nach nur 11 ½-monatiger Rekord-Bauzeit drei Tage nach dem offiziellen Schuljahrsbeginn ihren Betrieb auf. Es zogen zunächst acht Klassen in den noch nicht fertiggestellten Neubau ein: eine Quinta (6. Klasse) und zwei Quarten (7. Klasse) des mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweigs des Jungengymnasiums, eine Quarta und eine Untertertia (8. Klasse) des Frauenzweigs, die vom Mädchengymnasium kamen, sowie drei neue Sexten (5. Klassen) des neu gegründeten mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums. Obwohl der Neubau deutlich schneller voranging als in Aussicht gestellt, mussten zwei weitere Klassen sowie die Obertertia (9. Klasse) des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums noch in Pavillons am Meyplatz bzw. im Bonhoefferhaus ausharren. Bis zum Ende des Monats sollten aber laut Bauamt zehn weitere Klassenräume fertiggestellt sein.

Die erste Lehrerkonferenz fand im noch provisorischen Lehrerzimmer statt. Dem Kollegium gehörten 29 Lehrerinnen und Lehrer an, darunter fünf Aushilfen von anderen Schulen. Der Schulleiter und einige Lehrer mussten sich im Sekretariat einquartieren, das sie nicht nur mit der Sekretärin, sondern auch mit den Mitarbeitern des Baubüros teilen mussten. Insbesondere diese Episode macht deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die Schulleitung anfangs zu kämpfen hatte: Obwohl für die dort untergebrachten Schülerinnen und Schüler noch kein Raum im neuen Gebäude zur Verfügung stand, wurde bereits mit dem Abbau des Pavillons am Meyplatz begonnen. Der herbeigeeilte Schulleiter konnte gerade noch rechtzeitig einschreiten, um die Waschbecken und Toiletten wieder aufhängen zu lassen. Die 25 Schülerinnen der Untersekunda des Zweigs für Frauenbildung, die noch am Mädchengymnasium untergebracht waren, traten unterdessen in den Streik, weil sie in einem fensterlosen Raum unterrichtet wurden und der Stundenplan nach ihrem Dafürhalten „zu einseitig“ ausgefallen war: „Sie schwänzten die ersten beiden Stunden mit Nadelarbeit“ (!) heißt es hierzu in einem Artikel der Ruhr-Nachrichten.

Der Unterrichtsausfall zu Beginn war immens, denn die neue Schule litt stark unter Lehrermangel: Zwei der fest eingeplanten neuen Lehrkräfte traten ihren Dienst gar nicht erst an, ein Ersatz war nicht in Sicht. Von 780 vorgesehenen Stunden mussten 211 wegen Lehrermangels ausfallen, und das, obwohl die Lehrerinnen und Lehrer bis zu fünf Überstunden in der Woche leisteten und Klassen zusammengelegt wurden. Da die Schülerinnen und Schüler auf fünf Standorte verteilt waren, zwischen denen die Lehrerinnen und Lehrer ständig wechseln mussten, dauerten die Unterrichtsstunden zudem oft nur 25 statt 45 Minuten.

Ein Zitat des Schulleiters, das die Ruhr-Nachrichten veröffentlichten, verdeutlicht mehr als alles andere die Diskrepanz zwischen den großen Hoffnungen, der freudigen Aufbruchstimmung im August 1968 einerseits und der in den Monaten darauf erlebten desillusionierenden Realität: „Unsere fröhlichen Hoffnungen wurden gleich in der Blüte geknickt.“ 25 Jahre später kann Lieselotte Sures eine positivere, die Auswirkungen der schwierigen Anfangszeit auf das an der Schule herrschende Klima wertschätzende Bilanz ziehen: „Vielerlei Schwierigkeiten stellten sich Lernenden und Lehrenden in den ersten Monaten und Jahren in den Weg, aber die Schüler waren gern umgezogen oder hatten sich sogar für diese Schule entschieden; das Kollegium war jung und der Aufbau eine lohnende Aufgabe. Es gab nur wenig Lehrer, umso wichtiger war ihre Bereitschaft, alle Arbeiten mit viel Elan zu erledigen. Einfallsreichtum, Entscheidungsfreudigkeit und Mut zur Verantwortung sowie der Wille zu guter Zusammenarbeit kennzeichneten die Atmosphäre. Wir hatten mehr und mehr das Gefühl, daß es um unsere Schule ging, die es zu verteidigen galt gegenüber allen, die die Entwicklung skeptisch und oft nicht vorurteilsfrei betrachteten.“

Die offizielle Eröffnung des neuen Schulgebäudes

Zum Zeitpunkt der Eröffnung des neuen Schulgebäudes Ende Januar 1969 besuchten 620 Schülerinnen und Schüler in 22 Klassen das neue Gymnasium am Nordpark, davon 128 Mädchen des Frauenoberschul-Zweigs. Sie wurden von 20 haupt- und acht nebenamtlichen Lehrkräften sowie sieben Aushilfskräften unterrichtet.

Bei der Eröffnungsfeier wurde die neue Schule in höchsten Tönen gelobt. Die Vertreter der Stadt und der Bezirksregierung legten viel Wert darauf, zu betonen, dass sie in mehrfacher Hinsicht innovativ sei: Noch nie sei ein Gebäude dieses Ausmaßes in Trockenbauweise und damit derart „schnell und billig“ errichtet worden. Stolz verkündete man: „Die Lebensdauer des neuen Gebäudes ist praktisch unbegrenzt“ und pries seine Schall- und Wärmedämmung sowie die Akustik (!). Auch den Schultyp habe es bisher nicht gegeben. Neu war außerdem die Koedukation. Ebenso war die Ausstattung ihrer Zeit voraus: „Waschbecken in jedem Raum, statt einer zentralen Schul-Sprechanlage fahrbare Tonmöbel in jedem der sieben Geschosse mit Radio, Tonband und Plattenspieler, dazu eine Fernsehantenne auf dem Dach mit Anschlüssen in allen Klassenräumen.“ Besonders stolz war man auf die multifunktionale „zentrale Erschließungshalle“, die bei Veranstaltungen bis zu 600 Menschen Platz bieten sollte. Unkonventionell war auch der Schulhof, da das Pausengelände nicht von Mauern umgeben war, sondern sich in die städtischen Grünanlagen einfügen sollte.

Nicht bedacht hatte man allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler der neuen Schule auch irgendwie zu dem Gebäude kommen mussten: Der Zugang zur Schule war chaotisch und gefährlich. Deshalb wurde im Oktober 1970nach mehreren vergeblichen Vorstößen des Schulleiters bei der Stadt ein Schülerlotsendienst eingerichtet, der den Heisenbergern sicher über die Konrad-Adenauer-Allee helfen sollte, bis durch eine andere Lösung, wie zum Beispiel eine Ampelanlage, Abhilfe geschaffen sein würde. Auch die Anfahrt mit dem Auto war anscheinend nicht vorgesehen – zumindest nicht aus südwestlicher Richtung: Da es keine Abbiegespur nach links gab, musste man entweder verbotswidrig abbiegen und damit ein „Knöllchen“ riskieren oder aber einen Umweg über die Innenstadt nehmen. Erst im Oktober 1981 wurde beschlossen, eine Abbiegespur von der Konrad-Adenauer-Allee in Richtung Heisenberg-Gymnasium zu bauen. Die Kosten sollten rund 300 000 DM betragen, - sie waren sicherlich zumindest teilweise schon durch die von Lehrern und Eltern gezahlten Strafen vorfinanziert.

 

Während Schulleiter Sokolowski in seiner Rede eine bessere Durchlässigkeit des in seinen Augen viel zu starren Bildungssystems und - angesichts des erschreckenden Lehrermangels - eine Aufwertung des Lehrerberufs forderte, trieben den Elternvertreter der neuen Schule ganz andere Sorgen um. Stilistisch geschliffen, aber ohne jedes Verständnis für die Sichtweise und die Haltung vieler junger Menschen in dieser Zeit postuliert er: „Daß diese Schüler von heute nicht die Revoluzzer von morgen werden, das ist unsere Aufgabe heute.“ Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Jugend wenig Anlass habe, hinter Aufwieglern herzulaufen. Ursache sei nämlich „die Diskrepanz zwischen Idealen und Wirklichkeit“. Aufgabe der Lehrkräfte sei es, diese wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Das Schulleben in den Pionierjahren

Die Schülervertretung organisierte gleich in den ersten Monaten mehrere Tanzabende: Bei der ersten Party in der Pausenhalle des neuen Schulgebäudes spielten „Percy and the Goldbirds“ auf. Für den Eintrittspreis von 2 DM wurden darüber hinaus (alkoholfreie) Getränke und Filme mit Dick und Doof geboten. Im November 1970 folgte eine Tanzveranstaltung mit der Pop-Gruppe „Pentagon“, zu deren Musik 800 Schülerinnen und Schüler tanzten. Im Februar 1971 berichtete die WAZ über das „Jazz-Forum“, das bereits zum dritten Mal im Musiksaal stattfand und großen Anklang fand. Für „Bombenstimmung“ sorgte im Januar 1972 ein Oberprimaner-Trio, das irische und schottische Folklore spielte.

Nicht nur bei solchen Veranstaltungen, sondern auch in den täglichen Pausen genossen die Schülerinnen und Schüler der Pionierzeit die Freuden der damals noch ungewohnten Koedukation, wie der Schüler, der erklärte, es sei prima, Pausendienst zu machen und dabei mit den Mädchen zu „flöten“; - das Wort „flirten“ war ihm offensichtlich – wohl wie das Vergnügen an sich – noch nicht allzu geläufig.

Großer Beliebtheit erfreuten sich schon damals Fußballspiele, bei denen Lehrer gegen Oberstufenschüler antraten. In einem Bericht über das alljährlich vor den Sommerferien stattfindende Schulsportfest war im Juli 1970 in der WAZ zu lesen: „Mit Oberstudiendirektor Sokolowski auf dem Rechtsaußenposten gewann das Lehrerkollegium im abschließenden Fußballspiel mit 2:1 Toren gegen die Oberstufe.“ Dies ließen die Schüler natürlich nicht auf sich sitzen: Die Revanche folgte im November mit einem 5:3-Sieg der Unterprima gegen die Lehrermannschaft.

1977 plante man das erste Schulfest nach neun Jahren des Bestehens; es sollte im Juni, kurz vor den Sommerferien, stattfinden. Es war wohl ein großer Erfolg, denn im folgenden Juni wurde erneut ein großes Schulfest gefeiert. Außerdem beging das Heisenberg-Gymnasium regelmäßig vor den Sommerferien ein leichtathletisches Schulsportfest.

In lebendiger Erinnerung wird sicherlich vielen Schülerinnen und Schülern, aber auch Lehrerinnen und Lehrern, die Begegnung mit dem sowjetrussischen Kosmonauten Nikolai Rukwischnikow geblieben sein, der im April 1976 an das Heisenberg-Gymnasium kam, um von seinen Erfahrungen mit Sojus 10 und 16 in den Jahren 1971 und 1974 zu berichten.

Ein Artikel vom Januar 1978 zeugt erstmals von der Existenz einer Theatergruppe am Heisenberg-Gymnasium: Sie führte sehr erfolgreich „Szenen aus dem Nuklearwinter“ auf. Der Andrang war so groß, dass die Premiere schon Tage zuvor ausverkauft war. Damit war eine Tradition begründet, die das Schulleben, aber auch die Wahrnehmung der Schule in der Gladbecker Öffentlichkeit, für lange Jahre prägen sollte.

Die Bildungsoffensive droht stecken zu bleiben

Die Schülerzahlen der Gymnasien stiegen stetig, nicht nur, weil die geburtenstarken Jahrgänge an die weiterführenden Schulen drängten, sondern auch, weil der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die von der Grundschule an ein Gymnasium übergingen - wie politisch gewollt - enorm wuchs. 1976 zählte unsere Schule bereits über 1000 Schülerinnen und Schüler. Die unteren Stufen waren vier- bis fünfzügig, infolge der reformierten Oberstufe wurden nun jedes Jahr qualifizierte Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen der Haupt- und Realschulen aufgenommen. Ursprünglich für andere Zwecke vorgesehene Räume waren bereits zu Klassenräumen umfunktioniert worden; nun sollten Pavillons Abhilfe schaffen. Bereits 1974 wurden das Lehrerzimmer und der Verwaltungstrakt unseres Schulgebäudes vergrößert.

Der eklatante Lehrermangel blieb Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ein großes Problem nicht nur unserer Schule: „Auch Aushilfskräfte retten die Situation nicht“ – „Schulbetrieb kümmerlich“ – „Lehrermangel plagt weiterführende Schulen: v.a. naturwissenschaftliche Fächer betroffen“… So oder ähnlich lauten zahlreiche Schlagzeilen dieser Jahre. Verschärft wurde die Situation durch die aus Sicht vieler möglicher Bewerber mangelnde Attraktivität des Ruhrgebiets im Allgemeinen und Gladbecks im Besonderen. „Die Leute fangen an, sich ihre Dienstorte auszusuchen. Gladbecker Kinder haben weniger Chancen, genügend gute Lehrer zu bekommen“, stellte Schulleiter Sokolowski zu Beginn des Schuljahres 1970/71 fest. Zu diesem Zeitpunkt konnte in den drei Quarten des Gymnasiums am Nordpark kein Mathematikunterricht erteilt werden. Hinzu kamen Ausfälle in Chemie und Biologie sowie Stundenkürzungen in etlichen Klassen und Fächern, obwohl elf Aushilfskräfte eingestellt worden waren, viele Lehrerinnen und Lehrer fachfremd unterrichteten, in erheblichem Umfang Mehrarbeit leisteten, sich weiter qualifizierten und zusätzliche Korrekturen in erheblichem Umfang übernahmen, wie Schulleiter Sokolowski in einem Interview unterstrich. Ein Jahr später war in der WAZ zu lesen, dass am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium nur 34,6 der 43 Stellen besetzt seien, 29 davon mit hauptberuflichen Lehrkräften. Von 895 vorgesehenen Wochenstunden konnten 97 nicht erteilt werden. Angesichts der steigenden Schülerzahlen blieb das Problem des Lehrermangels akut: Im August 1972 waren von 45 Planstellen lediglich 32 mit hauptamtlichen, vier mit nebenamtlichen Lehrkräften besetzt. Erst im zweiten Halbjahr des darauffolgenden Schuljahres entspannte sich die Lage durch Neueinstellungen etwas. Dennoch, so Schulleiter Sokolowski, sei es weiter nötig, neue Lehrer anzuwerben. Er nahm hier auch die Stadt Gladbeck in die Pflicht, die neuen Wohnraum für Lehrer schaffen müsse.

Welche Bedeutung unter diesen Umständen insbesondere den Gymnasiallehrern und - noch eine seltene Spezies - Gymnasiallehrerinnen beigemessen wurde, zeigen die aus heutiger Sicht geradezu befremdlich wirkenden zahlreichen Zeitungsartikel zu Neueinstellungen, Beförderungen, Pensionierungen und Nachrufen, selbst zu ehemaligen Lehrkräften, die längst aus Gladbeck weggezogen waren.

Weder die Schülerinnen und Schüler noch die Lehrerinnen und Lehrer waren bereit, den Bildungsnotstand weiter hinzunehmen. In einer gemeinsamen Protestaktion zogen die Schülerinnen und Schüler der drei Gladbecker Gymnasien, angeführt von ihren Schülersprechern, vor das Rathaus, um gegenüber dem damaligen Bürgermeister und Landtagsabgeordneten Kalinowski sowie dem Landtagsabgeordneten Ullrich ihre Forderungen nach einer besseren Bildungspolitik, mehr Lehrern und einem Ende der Raumnot vorzubringen. Allerdings waren die beiden Herren gar nicht zugegen, sodass die Gladbecker Gymnasiasten lediglich ihre Petition im Vorzimmer des Bürgermeisters abgeben konnten. Viele Gladbecker Bürgerinnen und Bürger reagierten mit Unverständnis „Die sollen mal lieber lernen, sich die Haare schneiden zu lassen. Wir hatten früher solche Wünsche nicht, wir waren zufrieden, wenn wir satt zu essen und zu trinken hatten. Geht ihr lieber mal arbeiten“ wird einer von ihnen in einem Artikel zitiert, - ein Zitat, das die tiefe Kluft zwischen der älteren Generation und der jungen deutlich zutage treten lässt: Während die einen froh waren, den Krieg überlebt zu haben, sich damit zufrieden gaben, ihren kleinen Anteil am wachsenden Wohlstand dankbar zu genießen und lieber nicht voraus – und erst recht nicht zurück ! – schauten, forderten die anderen mehr vom Leben als das tägliche Brot und ein Dach über dem Kopf.

Für die Lehrerinnen und Lehrer brachte im Mai 1970 das 7. Besoldungsänderungsgesetz das Fass zum Überlaufen, das zwar eine Erhöhung der Gehälter der Volks- und Realschullehrerinnen und -lehrer, nicht aber der Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien vorsah. Die Betroffenen äußerten den Verdacht, dass das Gymnasium „auf kaltem Wege“ abgeschafft werden sollte. Hinzu kam der schon lange schwelende Unmut über die „angeblich“ - so ein Artikel der WAZ vom April 1970 - schlecht bezahlten Überstunden. Die Kollegien des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums sowie des Frauengymnasiums beschlossen, ab Mai keine Überstunden mehr zu machen und nur noch Dienst nach Vorschrift zu leisten. Dies bedeutete immerhin einen regelmäßigen Stundenausfall von 53 Wochenstunden, was in etwa dem Unterricht von zwei Klassen entsprach. Ziel der landesweiten Aktion war es laut den Gymnasiallehrern, den Beruf des Studienrats wieder attraktiv zu machen, damit genügend und qualifizierte Kräfte den Beruf ergriffen. Schließlich seien Ausbildung und Zukunft der Kinder davon abhängig. Die Wellen schlugen hoch: gegenseitige Diffamierungen, möglicherweise falsche Behauptungen auf beiden Seiten, Instrumentalisierung der Eltern und Schüler gegen die Lehrer, der Eltern gegen die Landesregierung waren an der Tagesordnung. Sogar Bundeskanzler Willy Brandt schaltete sich ein und versprach, sich für die bundeseinheitliche Anhebung der Eingangsgruppierung der Studienräte auf A14 (!) einzusetzen, der Bürgermeister appellierte an die Philologen, keinen Missbrauch mit Eltern und Schülern zu treiben, der Rat der Stadt Gladbeck bat die Lehrer, den Unterricht wieder aufzunehmen, verbunden mit dem Dank für die geleistete (Mehr-)Arbeit und dem Verweis auf die Verantwortung der Lehrer gegenüber ihren Schülern. Inzwischen berieten auch die Schüler Maßnahmen gegen den Lehrerstreik und protestierten mit Teach-Ins und Fernbleiben vom Unterricht gegen den Unterrichtsausfall. Die Lehrerinne und Lehrer der beiden Gladbecker Realschulen erklärten sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien solidarisch – offensichtlich aus Sorge, dass wegen deren Protesten das für sie vorteilhafte Besoldungsgesetz nicht mehr rechtzeitig auf den Weg kommen könnte, wie die Ruhrnachrichten nüchtern urteilten. Anders als an den beiden anderen Gladbecker Gymnasien war am Gymnasium am Nordpark nur etwa die Hälfte des Kollegiums bereit, klein beizugeben. Erst als NRW-Kultusminister Holthoff einlenkte und über Gehaltserhöhungen hinaus deutliche Verbesserungen für die Lehrer an Gymnasien in Aussicht stellte, kehrte man auch hier wieder zum (Überstunden-)Alltag zurück.

Ein neues Profil entsteht

Der Lehrermangel machte sich besonders am zweiten Zweig der Schule, dem „Gymnasium für Frauenbildung“ bemerkbar. Es sollte nach dem Willen der politisch Verantwortlichen eigentlich neu aufgebaut werden – bisher ging dieser Schultyp in Gladbeck nur bis zur 10. Klasse -, war aber im Vergleich zum mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig deutlich geringer angesehen und musste von Anfang an um seine Existenzberechtigung kämpfen. Der Schulleitung war bald klar, so Lieselotte Sures in ihrem Rückblick im Jahr 1992, dass das Gymnasium für Frauenbildung an der neuen Schule keine Zukunft haben würde. Schließlich, so Herbert Sokolowski im Gespräch vor wenigen Wochen, ging es ihnen um „Menschenbildung“ – unabhängig vom Geschlecht. Im Frühjahr 1970 machten Gerüchte über die bevorstehende Schließung des „Gymnasiums für Frauenbildung“ die Runde; die Eltern der 164 Schülerinnen waren beunruhigt. Schulleiter Sokolowski gab bei einer Elternversammlung bekannt, dass der Lehrermangel ihm keine andere Möglichkeit lasse, als diesen Zweig der Schule am Nordpark auslaufen zu lassen. Die Älteren könnten noch wie vorgesehen das Abitur ablegen, die Jüngeren noch in den geplanten neuen Zweig integriert werden. Für die Schülerinnen der Obertertia allerdings war die Situation problematisch: In den Nachbarstädten konnte keine ganze Klasse untergebracht werden, zudem, so die Befürchtung der Eltern, sei der Unterricht ihrer Töchter aufgrund des Lehrermangels so schlecht gewesen, dass sie nicht gemeinsam mit den Schülerinnen in den Nachbarstädten unterrichtet werden könnten, die einen viel besseren Unterricht genossen hätten. Nach mehreren Vorstößen bei der Bezirksregierung sicherte man dort der Schulleitung zu, dass noch alle bestehenden Klassen des „Gymnasiums für Frauenbildung“ ihr Abitur ablegen könnten.

Anfang Juli 1970 beschloss der Schulausschuss einstimmig, dass das „Gymnasium für Frauenbildung“ mit dem aktuellen Schuljahr auslaufen sollte und man dem Rat der Stadt Gladbeck die Einrichtung eines neuen Zweigs, eines „Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums für Jungen und Mädchen“ bereits ab dem kommenden Schuljahr empfehlen wollte.

Unsere Schule erhält ihren Namen

Von Anfang an war der Name des dritten Gladbecker Gymnasiums problematisch. Waren die Bezeichnungen und die Ausrichtung des „Jungengymnasiums“ in der Mittelstraße sowie des „Mädchengymnasiums“ in der Schützenstraßeknapp, eindeutig und schon lange vertraut, so war es doch unmöglich, sämtliche Besonderheiten der neuen Schule eindeutig, korrekt und dennoch kurz und einprägsam in einer Bezeichnung zusammenzufassen. So finden sich in den Dokumenten aus den ersten Jahren neben der für die ersten Jahre, bis zum Auslaufen des Zweigs für Frauenbildung, korrekten, aber äußerst sperrigen Bezeichnung „Mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen und Mädchen und Gymnasium für Frauenbildung“ etliche andere. Im April 1973, als das Gymnasium für Frauenbildung auslief und der sozialwissenschaftliche Zweig bereits gegründet war, war die Verwirrung offensichtlich besonders groß: Die Schule wurde als „Sozial- und Frauenwirtschaftliches Gymnasium am Nordpark“ betitelt, der bedeutendere mathematisch-naturwissenschaftliche Zweig fiel damit ganz unter den Tisch. Kein Wunder, dass sich bald der inoffizielle Name „Gymnasium am Nordpark“ einbürgerte.

Im Zuge der Oberstufenreform, die zum Schuljahr 1974/75 eingeführt wurde, wurden die Gymnasien in Nordrhein-Westfalen enttypisiert und alle weiterführenden Schulen koedukativ. So entstand auch an unserer Schule, deren offizielle Bezeichnung zu diesem Zeitpunkt „Städtisches mathematisch-naturwissenschaftliches und sozialwissenschaftliches Gymnasium“ lautete, das Bedürfnis, sich einen Namen zu geben, durch den die Schule nicht nur von den anderen Gymnasien unterscheidbar war, sondern der auch aussagekräftig in Hinblick auf die Schwerpunkte der Schule in ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit war. In einem Brief Herbert Sokolowskis an Werner Heisenberg vom März 1974 erläutert der Schulleiter den Beschluss der Gesamtkonferenz der Schule, sie nach dem Nobelpreisträger für Physik zu benennen: „Eine große Mehrheit hielt es für richtig, dass die Idee, jungen Menschen ausdrücklich ein Vorbild zu geben, auch in der gegenwärtigen Zeit noch wirksam sein könne. – Wir wollen auch weiterhin den Naturwissenschaften einen Vorrang im Curriculum erhalten. […] Dabei meinten wir, dass Vorbilder nicht nur aus vergangenen Epochen zu holen seien. Vielmehr können unseres Erachtens junge Menschen ebenso starke Impulse empfangen, wenn ihre Erzieher sie vertraut machen mit Menschen der eigenen Epoche, die in ihrer Zeit schöpferisch wirken und dabei gar nicht bloß die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten erweitern, sondern auch in hoher politischer und sittlicher Verantwortung helfen, den Geist zu bewahren vor einem Verfallen an Gewalten der Destruktion. Von dem Vertrautwerden mit ihrer Person und ihrer Leistung, verehrter Herr Professor Heisenberg, erwarten wir solche Impulse.“

Professor Heisenberg gestattete die Verwendung seines Namens, auch wenn er in seinem Antwortschreiben darauf hinwies, dass er gar nichts davon halte, Schulen nach noch lebenden Personen zu benennen. Da aber nun schon eine Schule in Dortmund seinen Namen trüge, ohne ihn um Erlaubnis gefragt zu haben, sehe er keinen Grund mehr, warum er dies dem Gladbecker Gymnasium verweigern solle. Am 5. Dezember 1974, dem Geburtstag des Namensgebers, wurde das Schild mit dem neuen Namen am Eingang des Gymnasiums am Nordpark angebracht. Professor Heisenberg sagte zu, zur offiziellen Taufe nach Gladbeck zu kommen. Auch die beiden anderen Gladbecker Gymnasien erhielten nun die Namen, unter denen wir sie heute kennen: Das Jungengymnasium an der Mittelstraße wurde zum Ratsgymnasium, die Mädchenschule in der Schützenstraße zum Riesener-Gymnasium.

Im Anschluss entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen dem Schulleiter des Heisenberg-Gymnasiums und dessen Namensgeber, in dem Geburtstags-, Weihnachts- und Neujahrgrüße ausgetauscht wurden. Professor Heisenberg lud Schülerinnen und Schüler unserer Schule zu einer Besichtigung des Max-Planck-Instituts in München ein, zu der er hinzukam, um mit den Schülerinnen und Schülern zu sprechen. In einem der Briefe ist auch von einem für das Frühjahr 1976 geplanten Besuch des Nobelpreisträgers an unserer Schule die Rede, der aber nicht konkret terminiert werden konnte, da es Werner Heisenberg gesundheitlich nicht gut ging. Am 1. Februar 1976 starb er.

Anlässlich des Todes seines Namensgebers fand am 13. Februar 1976 am Heisenberg-Gymnasium eine Gedenkfeier statt. Eine Delegation der Schule nahm an der Beisetzung in München und an einer Gedenkfeier des Max-Planck-Instituts in München teil, bei derCarl Friedrich von Weizsäcker, der Schüler und Weggefährte Heisenbergs gewesen war, zusagte, das Heisenberg-Gymnasium zu besuchen.

Zum 75. Geburtstag Werner Heisenbergs veranstaltete unsere Schule gemeinsam mit dem Kulturbund einen Vortragsabend im Bonhoeffer-Haus: Referent war Prof. Dr. Friedrich Hund, Professor für Theoretische Physik und Geschichte der Physik an der Universität Göttingen und ebenfalls Weggefährte Heisenbergs. Mit diesem Vortragsabend wurde eine Tradition begründet, die über viele Jahre bewahrt werden sollte. Am folgenden Tag besuchte Professor Hund unsere Schule und nahm am Unterricht eines Physik-Leistungskurses teil.

Schülerinnen und Schüler übernehmen Verantwortung

Nach Anlaufschwierigkeiten – der im Herbst gewählte erste Schülersprecher trat gleich wieder zurück und überließ das Feld seiner Gegenkandidatin – wurde eine neue SMV-Verfassung formuliert, da den Schülervertretern weder die alte, noch vom Jungengymnasium in der Mittelstraße übernommene, noch der Verfassungsvorschlag aus dem Ministerium zusagte. Insbesondere sollte der Schülerschaft ein Vetorecht gegen die Beschlüsse des Schülerrats eingeräumt werden.

Schon früh wurde an unserer Schule begonnen, Schülerinnen und Schüler an der Entwicklung der Schule und an der Gestaltung des Schullebens zu beteiligen und ihnen somit die Möglichkeit zu geben, durch die Übernahme von Verantwortung zu einem gelingenden Schulleben und zu ihrer persönlichen Entwicklung beizutragen. Der bereits erwähnte Schülerlotsendienst ist ein Beispiel dafür, die Hausaufgabenhilfe ein anderes unter vielen weiteren: Auf Initiative des neuen Schulsprechers wurde im Schuljahr 1971/72 eine Hausaufgabenhilfe von Schülern für Schüler ins Leben gerufen. Altere Schülerinnen und Schüler halfen jüngeren zweimal in der Woche bei den Hausaufgaben und erhielten dafür als finanziellen Anreiz 2 DM pro Schüler und Nachmittag. Im November hatten sich bereits 70 Schülerinnen und Schüler gemeldet, die an diesem Silentium teilnehmen wollten.

Im Oktober 1972 veranstaltete die SMV eine Podiumsdiskussion zur bevorstehenden Bundestagswahl mit den Kandidaten des Wahlkreises Gladbeck-Bottrop von CDU, SPD, FDP und DKP. Sie stieß über die Schulgemeinde hinaus auf sehr großes Interesse in der Gladbecker Öffentlichkeit, war den Schülerinnen und Schülern jedoch zu langweilig.

1977, knapp drei Jahre nach Einführung der reformierten Oberstufe, forderten die Oberstufenschüler einen eigenen Raum. Infolge der Oberstufenreform hatten sie jetzt viele Freistunden, die „totgeschlagen“ werden müssten. Vorausgegangen war ein Beschluss der Gesamtkonferenz im Dezember, der ihnen den Aufenthalt in den Klassenräumen verbot, da dort zu viel Einrichtung zerstört worden war. Die Schülerinnen und Schüler wollten ihren Raum mit Polstermöbeln, Gardinen und einem Heißwassergerät ausstatten und die Wände dekorieren. Sie erhofften sich, dass solch ein Raum ihnen helfen würde, das durch das Kurssystem verloren gegangene Zusammengehörigkeitsgefühl zurückzugewinnen.

Auf der „Zeche Sokolowski“ begegneten sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler auf Augenhöhe. Die Kinder und Jugendlichen wurden als gleichberechtigte Partner im Bildungs- und Erziehungsprozess wahr- und ernstgenommen. Dies spiegelt auch die Änderung der Konferenzordnung im Herbst 1970 wider: Die drei Schülervertreter, die bisher nur in beratender Funktion hatten teilnehmen dürfen, erhielten nun Stimmrecht.

Dennoch war das Amt des Schulsprechers bzw. der Schulsprecherin damals offensichtlich kein einfaches: Bei den Wahlen erwies es sich trotz spektakulärer Wahlkampfaktionen im US-amerikanischen Stil immer wieder als äußerst schwierig, Mehrheiten zu finden. Immer wieder scheiterten Initiativen, allerdings wohl weniger an Lehrerkollegium oder Schulleitung als an der Uneinigkeit und dem fehlenden Engagement der Schülerinnen und Schüler. „Schüler spiegeln Gesellschaft wider“ – Mitbestimmung scheitert an Inaktivität“ – „Leistungsdruck verhindert Engagement“ ist 1975 in einem Zeitungsartikel über die Schülermitbestimmung an Gladbecker weiterführenden Schulen zu lesen. Mancher Schulsprecher und manches Mitglied des Schülerrats gaben deshalb frustriert auf.

Zahlreiche Zeitungsartikel zeugen schon in den ersten Jahren vom großen sozialen Engagement unserer Schülerinnen und Schüler. Oft handelte es sich um Aktionen und Projekte, die aus der Unterrichtsarbeit erwuchsen, dann aber von den Schülerinnen und Schüler weitgehend selbstständig und mit großem Engagement auch außerhalb der Unterrichtszeit weitergeführt wurden: So gründeten Oberstufenschüler des Heisenberg-Gymnasiums z. B. zu Beginn des Schuljahres 1974/75 in Gladbeck eine Amnesty-International-Gruppe, - die Idee war im Religionsunterricht entstanden. Im Frühjahr darauf bastelten die Fünftklässler für einen Basar, um Geld für ein Krankenhaus in Äthiopien einzunehmen. Auch dieses Projekt ging auf den Religionsunterricht zurück, in dem die Schülerinnen und Schüler eine Krankenschwester kennengelernt hatten, die von den Schwierigkeiten berichtet hatte, auf die sie bei ihrer Arbeit am Krankenhaus in Atat stieß.

Internationalen Kontakte werden geknüpft

Im März 1970 fand erstmals ein Austausch mit der französischen Partnerstadt Gladbecks, Marcq-en-Barœul, statt: 22 französische Schülerinnen und Schüler waren am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium und am neusprachlichen Gymnasium zu Gast. Gleich im Anschluss reisten die jungen Gladbecker zum Gegenbesuch nach Marcq. Bald darauf fand unsere Schule mit dem Collège des Hautes Loges ihre feste Partnerschule in Marcq-en-Barœul. Der Austausch fand, bis auf zwei Ausnahmen, von nun an jedes Jahr statt.

1974 wurde eine feste Partnerschaft mit der Latymer Grammar School in Enfield vereinbart, die ebenfalls bis heute gepflegt wird. Beim ersten Besuch reisten 21 junge Engländerinnen und Engländer an. Unsere Schülerinnen und Schüler nahmen im Juli darauf sogar das Flugzeug, um nach Enfield zu gelangen.

1977 hatten sechzehn Schülerinnen und Schüler unserer Schule die Möglichkeit, an einem Austausch mit den USA teilzunehmen. In Begleitung von Herrn Sokolowski flogen sie zu Beginn der Osterferien nach Richmond. Im Juni kamen die amerikanischen Austauschschüler nach Gladbeck. Obwohl der Austausch ein großer Erfolg war, konnte er leider mit dieser Schule nicht fortgesetzt werden. Schulleiter Sokolowski zeigte sich anfangs optimistisch, einen Austausch mit einer High-School in Michigan organisieren zu können, doch kam kein weiterer Austausch mit den USA mehr zustande.

Schülerzeitungen

Die Themen der gemeinsamen Schülerzeitung der drei Gladbecker Gymnasien aus der Anfangszeit unserer Schule spiegeln das Zeitgeschehen wider und zeugen von der kritischen Haltung und dem politischen Engagement vieler junger Menschen in dieser Zeit: So befasste sich die 26., 94 Seiten starke Ausgabe des „Schleifsteins“ im November 1968 u.a. mit Themen wie dem Kommunismus in Europa, der sowjetischen Intervention in der ÇSSR, Biafra („ebenso ein europäisches wie ein afrikanisches Problem“), brachte einen Bericht aus der „Zone“ („Bei uns ist vielleicht einiges nicht in Ordnung, bei euch aber auch nicht.“) und sorgte sich, ob die NPD eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Für Aufsehen sorgte aber nicht etwa diese, sondern die folgende (Sonder-)Ausgabe des „Schleifsteins“, die das neue Schulgebäude aufs Heftigste kritisierte: Es handele sich um „ein vollkommen verbautes Objekt“, um „eine Baracke aus Beton und Stein“. Weitere Kritikpunkte waren der Eisenbahnlärm, die katastrophale Verkehrsführung sowie das „wasserhaltige Freilichttheater“ auf dem westlichen Pausenhof. Herr Sokolowski erklärte, die Gebote der Sachlichkeit und Fairness seien missachtet worden und bezeichnete die Kommentare als taktlos. Nach einer Sitzung des Schülerrats mit Mitgliedern der Schleifstein-Redaktion, auf der der städtische Baurat Rede und Antwort stand, und einer weiteren Besprechung mit Vertretern von Schülerschaft, städtischem Bauamt und Schulleitung veröffentlichte der Schülerrat eine Stellungnahme zur Sondernummer des „Schleifsteins“: Die Kritik sei berechtigt, die Ausdrucksweise hingegen unangemessen gewesen. Die Schleifstein-Redaktion wehrte sich mit bitter-ironischen Kommentaren zu den Ergebnissen der Sitzungen zu der Sondernummer und das dort von der Redaktion geforderte Einlenken. Den Gerüchten über ein Verbot der Schülerzeitung trat man mit der Drohung entgegen, in diesem Fall einfach eine neue Schülerzeitung zu gründen.

Dennoch befand sich der „Schleifstein“, der sich in seiner nächsten Ausgabe dem eher unverfänglichen Thema „Gladbeck im Jahr 2019“ gewidmet hatte, in einer tiefen Krise. Es gab viel Kritik auch seitens der Schülerschaft, aber niemanden, der bereit war, es besser zu machen. Im Sommer 1969, nach einer großen, aber erfolglosen Werbeaktion um neue Redaktionsmitglieder stellte die Schülerzeitung ihr Erscheinen ein.

Mit „Tridens“ starteten die Schülerinnen und Schüler der drei Gladbecker Gymnasien einen erneuten Versuch einer gemeinsamen Schülerzeitung. Sie wurde sogar von Walther Scheel, dem damaligen FDP-Vorsitzenden, gelobt. Im Juli 1970 erschien bereits die dritte Ausgabe mit Themen wie der sozialen Lage in der Dritten Welt, einer Kritik zur Wahl an CDU, SPD und DKP, einem Bericht über Vietnam, Kritik an der „Synode 72“, einem Gespräch mit Oberstudiendirektor Sokolowski über das neue Sozialwissenschaftliche Gymnasium und einem Fragebogen über Sexualerziehung.

Im April 1976 erschien die nächste neue Schülerzeitung der drei Gladbecker Gymnasien, die den Namen „Ramses“ trug; im Jahr 1977, nach deren Scheitern, unternahm man einen neuen Versuch: Im März 1978 sorgte in der sechsten Ausgabe das Thema Alkohol für „Zündstoff“ – so der Name der neuen Schülerzeitung.

Der Computer zieht in die Schule ein

Bereits 1974 zog der erste Computer an unserer Schule ein. Den Unterricht mit Hilfe des Computers erteilte eine weibliche (!) Lehrkraft. Der Lehrplan für die differenzierte Oberstufe sah bereits „Computerunterricht“ vor. Das noch recht schlichte Gerät kostete 16 000 DM und trug den Namen „Marilyn Monroe“. Aber sicher war es nicht nur dieser Umstand, der Lehrer wie Schüler in Begeisterung versetzte. Schon träumte man von den Möglichkeiten, die mehr und größere Rechner, nicht nur für Unterrichtszwecke, bieten könnten: „…auch zur Berechnung von Kursbelegungen oder Punkteverteilungen, kurz zur Erledigung von Arbeiten […], die heute noch die Lehrer unnötig belasten“, schwärmte Schulleiter Sokolowski. Angesichts der Kosten in Höhe von rund 48 000 DM für solch einen Rechner blieb dieser Wunsch allerdings bis auf Weiteres unerfüllt.

Das Abitur im ersten Jahrzehnt

Das erste Abitur des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums für Jungen und Mädchen fand noch vor dem Umzug in das neue Schulgebäude im Juni 1968 statt. Im Laufe von drei Prüfungstagen traten 35 Abiturienten in Anzug und Krawatte - noch in den Räumen des Gymnasiums an der Mittelstraße - zur mündlichen Prüfung vor dem Oberschulrat, der Schulleitung und dem gesamten Kollegium an. Nach jedem einzelnen Prüfungstag wurden die Namen derjenigen, die die Reifeprüfung bestanden hatten, mitsamt ihrem Studien- bzw. Berufswunsch in der Zeitung veröffentlicht. Dass die Koedukation noch in den Kinderschuhen steckte und wie sehr die traditionellen Geschlechterrollen noch tief verwurzelt waren, verdeutlicht der Titel im Lokalteil der Ruhr Nachrichten: „Oberschulrat Höpfer prüfte – Sigrid servierte“. Dazu der Kommentar zum Foto der Kaffee kochenden Schülerin: „Koedukation kam zumindest dem leiblichen Wohl schon gestern zugute: Unterprimanerin Sigrid Söhnke, eines der beiden Mädchen auf der Jungenpenne, verpflegte die Herren Schulkameraden im Abitur.“

Im folgenden Jahr, nach dem Umzug in das neue Schulgebäude, legte sie als erstes und einziges Mädchen des neuen mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums zusammen mit 17 Mitschülern die Abiturprüfung ab. - Ob ihr wohl ein Unterprimaner Kaffee gekocht hat?

Bei der Abiturfeier hielt die stellvertretende Schulleiterin Lieselotte Sures die Rede der Schulleitung. Eigentlich, so Frau Sures, habe man von der bisherigen Tradition abweichen und die Abiturzeugnisse nur noch „in nüchterner Form“ übergeben wollen, doch hätten sich die Abiturientin und die Abiturienten eine feierliche Verabschiedung gewünscht. Die Feier begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Krankenhauskapelle, dann folgte eine Feierstunde mit Redebeiträgen, Auszeichnungen und Zeugnisverleihung. Das Rahmenprogramm bildeten klassische Musik und eine Lesung.

Die Abiturientenzahlen waren in den Anfangsjahren unserer Schule wie auch an den Nachbargymnasien im Vergleich zu heute niedrig, ebenso der Anteil der jungen Frauen: 1969, im ersten Jahr im neuen Gebäude, gab es mit den Absolventinnen des Gymnasiums für Frauenbildung 29 Abiturienten,1970 bestanden am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium am Nordpark 15 Oberprimaner und zwei Oberprimanerinnen die Reifeprüfung, 1976 machten 54 Schülerinnen und Schüler letztmalig nach dem alten, vor der Einführung des Kurssystems im Rahmen der reformierten Oberstufe üblichen Modus ihr Abitur - drei Klassen mit den Schwerpunkten Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Frauenbildung. Die im Schuljahr 1974/75 offiziell eingeführte Oberstufenreform brachte aus Sicht der dazu befragten Schulleiter der drei Gladbecker Gymnasien einen „stärkeren Leistungszwang“, da nun jeder Punkt zähle, was schlecht für „Saisonarbeiter“ sei. Die Zulassung zum Abitur sei nun schwerer zu bekommen, viele Schülerinnen und Schüler seien mit den Wahlmöglichkeiten und der Einschätzung ihrer Fähigkeiten überfordert, sodass viel mehr Beratung durch die Lehrkräfte erforderlich sei, die damit zurzeit allerdings auch noch nicht vertraut seien. Die Forderung des Leiters der Gesamtschule, dort eine zentrale gymnasiale Oberstufe für ganz Gladbeck einzurichten, die von der Stadt positiv aufgenommen wurde, führte zu einem „Schulstreit“, der im Herbst 1974 hohe Wellen schlug. Die Gymnasien drohten aus Sicht ihrer Vertreter zu reinen „Zuliefererbetrieben“ zu verkommen. Nachdem sich die Gesamtkonferenzen und die Schulpflegschaften des Heisenberg-Gymnasiums sowie des Riesener-Gymnasiums gegen die Einführung einer zentralen gymnasialen Oberstufe in Gladbeck im Rahmen eines Modellversuchs ausgesprochen hatten, war das Thema schnell wieder vom Tisch.

Die Listen der Abiturientinnen und Abiturienten zeigen, dass entgegen den Befürchtungen bei Einführung der Reform die Gesamtzahl der Abiturienten stetig stieg. Ebenso stieg der Anteil der Mädchen kontinuierlich.

Angesichts dieser Zahlen lohnt jedoch das genauere Hinsehen: 1977 machte der Jahrgang Abitur, der 1969 als erste Sexta des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium in das neue Schulgebäude eingezogen war. 59 der 66 Zugelassenen bestanden, fünf sollten im August in die Nachprüfung gehen. Allerdings gehörten nur 26 von ihnen tatsächlich den 117 Sextanern an, die 1968 am neuen Gymnasium eingeschult worden waren, das heißt, sie hatten ihre Schullaufbahn ohne Umwege absolviert. „Abiturientia 1977: Erste Lore verlässt Zeche Sokolowski“ titelte die WAZ im Juni. Nach der Ausgabe der Abiturzeugnisse feierten die Abiturientinnen und Abiturienten mit Eltern und Lehrern bei Schulte-Wieschen. Auf dem Programm standen Fotos, Dias und Filme aus der gemeinsamen Schulzeit, eine Tombola, Spiele und Tanz bis in den Morgen.

Beim 10. Abitur des dritten Gladbecker Gymnasiums waren es 92 Abiturientinnen und Abiturienten und damit in etwa so viele wie heute. Insgesamt, so die Bilanz anlässlich des 10-jährigen Bestehens, machten von 1968 bis 1978 493 Schülerinnen und Schüler am jüngsten Gladbecker Gymnasium ihr Abitur.

Die Abiturfeier fand inzwischen nicht mehr in der „zentralen Erschließungshalle“ statt, die man als zu nüchtern und dem Anlass nicht angemessen empfand. Stattdessen bot das Bonhoeffer-Haus den gewünschten festlicheren Rahmen.

Anja Peters-Kern

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